Eröff­nung: Frei­tag 10. Janu­ar — 18:00 Uhr /// Par­al­lel­stel­le Anna­stra­ße 51, 45130 Essen
Dau­er: 11.01 bis 28.02.2014 /// Öff­nungs­zeit: Mitt­wochs 15:00 — 18:00 Uhr und nach Vereinbarung

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Fotos: www.eventfotograf.in

Son­der­öff­nungs­zei­ten im Januar:
Sa. 11.01 12:00–16:00Uhr
So: 12.01 12:00–16:00Uhr
Di: 14.01 15:00–17:00Uhr
So: 19.01 12:00–16:00Uhr
So: 26.01 12:00–16:00Uhr

Son­der­öff­nungs­zei­ten im Februar:
So: 09.02 12:00–16:00Uhr
So: 23.02 12:00–16:00Uhr

Niklas Hebing:
Das demo­kra­ti­sche Porträt.
Zu Eri­ka Sul­zer-Klei­ne­mei­ers Aus­stel­lung Ein­sich­ten Aus­sich­ten in der Par­al­lel­stel­le in Essen

Ein ent­fern­ter Ver­wand­ter von Eri­ka Sul­zer-Klei­ne­mei­er ‒ wenn­gleich wohl nur dem Namen nach ‒ ist der Kunst­theo­re­ti­ker Johann Georg Sul­zer, ein Mann des 18. Jahr­hun­derts, des­sen Ästhe­tik für uns Heu­ti­ge wei­ter­hin von hohem Wert sein kann. Die­ser Sul­zer nimmt unter vie­lem ande­ren eine umfas­sen­de Bestim­mung des Begriffs des ‚Inter­es­san­ten‘ vor, des­sen ästhe­ti­sche er von der all­tags­sprach­li­chen Bedeu­tung ent­schie­den abhebt. Er meint, wahr­lich inter­es­sant sei in Kunst und Gebrauchs­kunst das­je­ni­ge, was Auf­merk­sam­keit auf sich zie­he, jedoch gera­de nicht als ein schnell vor­über­ge­hen­der Reiz ver­stan­den, son­dern ver­bun­den mit einem Insich­ge­hen: Die Qua­li­tät des Inter­es­san­ten liegt in einer Pro­vo­ka­ti­on zur Refle­xi­on ver­bor­gen. Es stellt also kein blo­ßes Gefal­len bereit, ein sol­ches ist ihm sogar ganz neben­säch­lich, son­dern führt den auf­merk­sa­men Rezi­pi­en­ten zu einer intel­lek­tu­el­len Bezug­nah­me auf den Kern des­sen, was das Inter­es­se geweckt hat. ‒ Mit Eri­ka Sul­zer-Klei­ne­mei­ers Bil­dern hat die­ser Gedan­ke aber weit­aus mehr gemein als eine blo­ße Namens­ver­wandt­schaft mit sei­nem Urhe­ber. In beson­de­rer Wei­se ist ihr Werk ‚inter­es­sant‘ im Sul­zer­schen Ver­ständ­nis des Wor­tes. Denn auch ihre Foto­gra­fien neh­men für sich ein, fes­seln den Blick, for­dern her­aus, stel­len Gedan­ken­räu­me zum Durch­lau­fen bereit. Die Fra­ge, die sich dabei sogleich erhebt, lau­tet: Was auf ihren Bil­dern ist die­ses Inter­es­san­te, das nicht los­las­sen lässt?
Die Moti­va­ti­on ihrer Arbei­ten hängt natür­lich mit dem Selbst­ver­ständ­nis ihres Schaf­fens zusam­men: Eri­ka Sul­zer-Klei­ne­mei­er ent­schied sich in den 50er Jah­ren zwar für eine künst­le­ri­sche Aus­bil­dung an der Karls­ru­her Aka­de­mie der Bil­den­den Küns­te und stu­dier­te dort u.a. bei HAP Gries­ha­ber, Fritz Klemm und Robert Rut­hardt. Doch schnell war sie sich sicher, dass nicht Male­rei, Holz­schnitt oder Gra­fik, son­dern die Foto­gra­fie ihr Medi­um sein soll, und zwar nicht die im enge­ren Sin­ne künst­le­ri­sche, son­dern die doku­men­ta­ri­sche Foto­gra­fie. Nicht zuletzt das Vor-68er-Kli­ma in den besuch­ten Klas­sen an der Aka­de­mie bil­de­te bei ihr das Inter­es­se an gesell­schafts­po­li­ti­schen Inhal­ten her­aus. So bezeich­net sie sich sel­ber immer­zu als ‚freie Bild­jour­na­lis­tin‘, was nichts mit der Tages­zei­tung BILD zu tun hat, für die sie aus vol­ler Über­zeu­gung kein ein­zi­ges Foto mach­te. Ihre Bil­der erschie­nen viel­mehr, und daher durch­weg in Schwarz-Weiß, in der ZEIT, in der taz, im Spie­gel und im Stern, aber auch in vie­len ande­ren, nicht nur deutsch­spra­chi­gen Zei­tun­gen und Zeitschriften.
Als die­se poli­ti­sche Bild­jour­na­lis­tin ist sie eine Doku­men­ta­to­rin der Öffent­lich­keit. Ihre Orte sind die Stra­ße, öffent­li­chen Räu­me, Räu­me der real­po­li­ti­schen Büh­ne, Büh­nen der Gesell­schaft. Wer sich die Bil­der der Aus­stel­lung besieht, ent­deckt auf ihnen Prot­ago­nis­tin­nen und Prot­ago­nis­ten der Nach­kriegs­ge­schich­te; nicht ledig­lich Ein­zel­per­so­nen, son­dern gan­ze Bewe­gun­gen wie die Frank­fur­ter Stu­die­ren­den um 1968, Gewerk­schaf­ten, Anti-Atom-Mär­sche, die Frie­dens­be­we­gung u.v.m. Doch wer dar­über hin­aus genau­er hin­sieht, ent­deckt, dass es sich nicht bloß um die­se Prot­ago­nis­tIn­nen han­delt. Anwe­send sind eben­so die still Agie­ren­den des gesell­schaft­li­chen Erhalts und Wan­dels: Arbei­te­rin­nen und Arbei­ter, ein­zel­ne Demons­tran­tin­nen, auf ande­ren ihrer Bil­der Gast­ar­bei­ter, Haus­be­set­ze­rin­nen, Kin­der, alte Men­schen und Obdach­lo­se; manch­mal auch ein­fach nur Vor­über­ge­hen­de, Paa­re und Passanten.
Sie alle erhal­ten auf ihren Bil­dern Raum, einen bild­haft-zwei­di­men­sio­na­len Raum der Gleich­heit. Denn Indi­vi­du­en ist es nicht allein zu eigen, alle­samt ver­schie­den, son­dern vor allem alle­samt gleich zu sein, gleich im Beson­de­ren dar­in, citoy­en und homo poli­ti­cus zu sein. Und selbst wer sich die Prot­ago­nis­ten Poli­ti­ker auf Eri­ka Sul­zer-Klei­ne­mei­ers Bil­dern ansieht, wen hat sie oder er dann vor sich? Kei­ne mit foto­gra­fi­schen Mit­teln heroi­sier­te und in den betäu­ben­den Dunst der Macht gehüll­te Platz­hir­sche, son­dern Men­schen in ihren Ämtern, in ihrer all­täg­li­chen Umge­bung, bei ihren von ihnen erwar­te­ten Tätig­kei­ten, die vie­le wohl mit einer gehö­ri­gen Por­ti­on Eitel­keit voll­zie­hen. Sie scheint ihnen durch die Lin­se dabei zuzu­se­hen, immer mit der nöti­gen Distanz sowie der Nüch­tern­heit des auf­klä­re­ri­schen Auges.
Ihr The­ma sind die Span­nun­gen, Wider­sprü­che, Kon­flik­te, Unstim­mig­kei­ten ‒ zwi­schen Staa­ten, zwi­schen deut­schen Par­tei­en und zwi­schen Par­tei­en und außer­par­la­men­ta­ri­schen Oppo­si­tio­nen. Sie gibt Ein­bli­cke in gesell­schaft­li­che Rand­be­rei­che, sozia­le Ver­än­de­run­gen, men­ta­le Ver­än­de­run­gen, eine gan­ze Geis­tes­la­ge, ja den Zustand einer Repu­blik, genau­so wie das Auf­be­geh­ren gegen die­sen Zustand: Streiks, Demons­tra­tio­nen gegen den Viet­nam­krieg, gegen die Not­stands­ge­setz­ge­bung, die Sta­tio­nie­rung von Pers­hing II-Rake­ten in Deutsch­land, den Sozi­al­ab­bau. Auch die deut­sche Wen­de 1989/90 ist ein wich­ti­ger Inhalt ihrer Bil­der. ‒ Bei sol­chen Tumul­ten, bei denen oft­mals die Aggres­si­on der soge­nann­ten ‚Ord­nungs­hü­ter‘ über­koch­te, ging immer wie­der die eine oder ande­re Kame­ra zu Bruch, wie etwa bei einer Haus­räu­mung in Frank­furt. Eri­ka Sul­zer-Klei­ne­mei­er berich­tet eben­so, wie vie­le Fest­nah­men durch die Poli­zei sie über sich erge­hen las­sen muss­te, wegen Ver­dachts der Sub­ver­si­on und des poli­ti­schen Akti­vis­mus. Ver­däch­tig war sie nicht allein wegen ihres Enga­ge­ments, son­dern bereits wegen ihrer Her­kunft aus Ros­tock, also aus dem roten Osten. Denn allem Nicht-Kon­for­men wur­de ja kon­se­quent unter­stellt, von der DDR finan­ziert zu sein.
Zu sehen sind somit Bil­der einer Demo­kra­tie, und zwar in ihren unter­schied­lichs­ten indi­vi­du­el­len Fürstrei­te­rin­nen und Fürstrei­tern. Auch der Phi­lo­soph ist abge­lich­tet, die Schrift­stel­le­rin, der Che­mi­ker Linus Pau­ling, die Schau­spie­le­rin Lot­te Lenya, die Sän­ge­rin Ella Fitz­ge­rald. Alle die­se ste­hen eben­falls nicht bloß für sich, son­dern sind Teil eines Kon­tex­tes bzw. einer poli­ti­schen Bewe­gung: Mar­tin Wal­ser bei einer Akti­on gegen die Not­stands­ge­setz­ge­bung, Hein­rich Böll bei der Pers­hing-Blo­cka­de, Haber­mas und Her­bert Mar­cu­se bei einer Stu­die­ren­den­dis­kus­si­on, Peter Hand­kes Publi­kums­be­schimp­fung. Denn eine Demo­kra­tie wäre kei­ne, wür­den Still­stand und gefähr­li­che Ein­tracht herr­schen. Wäre dem so, käme es zur Erlah­mung bis hin zur Auf­lö­sung der demo­kra­ti­schen Struk­tu­ren. So ist es der poli­ti­sche Kampf, der auch auf ihren Bil­dern aus­ge­foch­ten wird; stell­ver­tre­tend etwa zwi­schen den ehe­ma­li­gen Natio­nal­so­zia­lis­ten Kie­sin­ger und Schil­ler (immer­hin Bun­des­kanz­ler und Wirt­schafts­mi­nis­ter!) und den 68erInnen, zwi­schen Franz-Josef Strauß und Hel­mut Schmidt, zwi­schen Franz-Josef Strauß und Hel­mut Kohl, eben­so zwi­schen Ador­no und Her­bert Mar­cu­se, und die­se wie­der­um gegen die Realpolitik.
Es sind legen­dä­re, mit einer deut­li­chen Spra­che spre­chen­de Bil­der: das­je­ni­ge Hel­mut Schmidts vor dem Wahl­kampf­pla­kat „Wil­ly Brandt muß Kanz­ler blei­ben“, was sich spä­ter­hin gar als sein Schick­sal erwie­sen hat; oder Hel­mut Kohl vor dem Bild sei­nes Über­va­ters Ade­nau­er, auf nahe­zu dia­bo­li­sche Grö­ße auf­ge­bla­sen; das küs­sen­de Paar vor der Linie, genau an der sich DDR und BRD tren­nen; die Auf­nah­me Ernst Blochs bei sei­ner flam­men­den Rede in der Pauls­kir­che gegen den Viet­nam­krieg; der Pro­test­lauf einer stil­len­den Mut­ter mit Kind von Stock­holm nach Paris gegen die Auf­rüs­tung der NATO.
Auf die­se Wei­se gelingt es der Foto­gra­fin, Geschich­te zu ban­nen und für die Zukunft zu bewah­ren. Auf die­se Wei­se gelingt es ihr im Nach­hin­ein, Geschich­te zu erzäh­len. Im Moment der Auf­nah­me war es ganz gewiss nicht ihr Anlie­gen, etwas für die spä­te­re Erin­ne­rung an das 20. Jahr­hun­dert zu spei­chern. Ihr Anspruch war zunächst, die Situa­tio­nen der Tages­po­li­tik in einem aus­sa­ge­kräf­ti­gen Bild zu ver­dich­ten. Doch damit ist zugleich berührt, dass die­ses Bild in sei­ner Ver­dich­tung über die Gegen­wart hin­aus­weist. So wer­den heu­te beim Hin­schau­en aspekt­ge­la­de­ne Situa­tio­nen der Nach­kriegs­zeit sicht­bar ‒ und zwar gera­de weil sie von Eri­ka Sul­zer-Klei­ne­mei­er so cha­rak­te­ris­tisch ein­ge­fan­gen wur­den, bis hin zur Sinnbildhaftigkeit.
Doch das Beson­de­re der Aus­stel­lung in der Par­al­lel­stel­le liegt nicht allein dar­in, Arbei­ten, die als Ein­zel­bil­der in Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten erschie­nen, als umfang­rei­che Werk­schau zu prä­sen­tie­ren. Es liegt auch dar­in, ihr Gesamt­werk nach einem bestimm­ten Gen­re zu befra­gen, näm­lich nach dem­je­ni­gen des Por­träts. Die Aus­stel­lung steht damit unter der Leit­fra­ge: Las­sen sich die ver­sam­mel­ten Bil­der nicht in ers­ter Linie dem Por­trät zuord­nen und gehen daher noch über ihre doku­men­ta­ri­sche Qua­li­tät hin­aus? Es ist bereits erwähnt wor­den: Eri­ka Sul­zer-Klei­ne­mei­er bezeich­net sich sel­ber als‚ freie Bild­jour­na­lis­tin‘, mög­li­cher­wei­se zwecks Abgren­zung zur Foto­künst­le­rin. Dazu gäbe es natür­lich eine Men­ge zu sagen; viel­leicht ist es aber gar nicht erfor­der­lich, sich für eine der bei­den Optio­nen zu ent­schei­den. Denn dass das Doku­men­ta­ri­sche, das hier im Vor­der­grund steht, gene­rell von künst­le­ri­schen Stra­te­gien nicht frei­zu­hal­ten ist, ver­ra­ten ihre Arbei­ten auf den ers­ten Blick. Sie ver­wei­gert sich dem Trug der stand­punkt­frei­en Doku­men­tie­rung. Durch mal sub­ti­le, mal über­deut­li­che Bild­spra­che ergreift sie Par­tei, iro­ni­siert bis­wei­len das Gesche­hen und bringt selbst­re­flek­tiert die Trä­ge­rin des Auges ihrer Bil­der in die­se ein.
Viel­leicht kann zu Recht behaup­tet wer­den, ein ent­schei­den­des Motiv von Eri­ka Sul­zer-Klei­ne­mei­er sei die oder der Ein­zel­ne ‒ ein Indi­vi­du­um, das aber nicht ver­ein­zelt ist, son­dern einer Grup­pe, einer Kon­tex­tua­li­sie­rung, einer Bewe­gung ange­hört, die durch ihn zugleich prä­sent ist. Das gilt für den Poli­ti­ker genau­so wie für die Stu­den­tin, den Frie­dens­ak­ti­vis­ten und die Gewerk­schaft­le­rin. Selbst Bil­der der Mas­se the­ma­ti­sie­ren die­ses Indi­vi­du­um, respek­ti­ve sei­ne Über­zeu­gung, sich mit ande­ren für die gemein­sa­me Sache ein­zu­set­zen. Gera­de für die­se Fra­ge nach der Rol­le des Ein­zel­nen und der Mas­se sowie der Rol­le des Ein­zel­nen in der Mas­se liegt das Por­trät als Gen­re nahe. Beein­dru­ckend ist es, wie klar erkenn­bar Eri­ka Sul­zer-Klei­ne­mei­ers Bil­der, obwohl Moment­auf­nah­men und damit spon­tan ent­stan­den, einen schar­fen Sinn für Kom­po­si­ti­on ver­ra­ten ‒ und das trotz stren­gen Ver­zichts auf Insze­nie­rung. Die­ser Aspekt wird nir­gend­wo anders so deut­lich wie auf ihren Por­träts. ‒ So ist durch die­ses Kri­te­ri­um ein neu­er Leit­fa­den gefun­den wor­den, aus dem rie­si­gen Archiv von über 60000 Fotos eine im Sin­ne des Kunst­theo­re­ti­kers Sul­zer inter­es­san­te Aus­wahl inter­es­san­ter Bil­der zu tref­fen. Über vier­zig Arbei­ten sind in der Par­al­lel­stel­le zu sehen, aus vier Jahr­zehn­ten stam­mend. Die Werk­schau einer der gro­ßen deut­schen Foto­jour­na­lis­tin­nen eröff­net durch den beson­de­ren Akzent Por­trät eine neue Sicht auf ihr Gesamtwerk.