Eröffnung am 01.07. um 18 Uhr
Öffnungszeiten
01.07. bis 29.07.
Aufsichtszeiten: jeden Donnerstag 17-19 Uhr

Mit der Aus­stel­lung „Raus aus der Ecke“ zeigt Lara Werth ein­mal mehr, wie sehr kör­per­li­che Grenz­erfah­run­gen, men­ta­le Aus­nah­me­zu­stän­de und urba­ne Bild­räu­me in ihrer künst­le­ri­schen Pra­xis ver­schmel­zen. Im Zen­trum steht das neue, groß­for­ma­ti­ge Werk „A Few Miles“ (2025), beglei­tet von klei­ne­ren Arbei­ten wie „Hill Sprints“ (2024) oder „Water Loading“(2025), die direkt aus einem kör­per­li­chen und geis­ti­gen Pro­zess her­vor­ge­gan­gen sind: dem Lau­fen als Denk­form, als Wider­stand, als Vorbereitung.

Wert­hs Zeich­nun­gen sind kei­ne Illus­tra­tio­nen phy­si­scher Bewe­gung, son­dern visu­el­le Ver­dich­tun­gen inne­rer Zustän­de. Der Kör­per dient nicht als Sujet, son­dern als Medi­um. In sei­nen Erschöp­fungs­gren­zen beginnt der künst­le­ri­sche Raum;ein Raum, der sich in Lini­en, Ver­dich­tun­gen und Ver­schie­bun­gen auf das Papier über­trägt. Wie bei CyT­wom­bly, des­sen Schreib­be­we­gun­gen zu Zei­chen­sys­te­men wur­den, oder Han­ne Dar­bo­ven, die Den­ken in rhyth­mi­sche Zah­len über­führ­te, ent­steht bei Werth eine Spra­che der Wie­der­ho­lung, des Wider­stands – aber ohne kal­ku­lier­te Struk­tur, statt­des­sen durch­setzt von Hit­ze, Müdig­keit, Durst.

„Es ist die Unter­wer­fung der eige­nen Per­sön­lich­keit unter ein selbst gewähl­tes Schick­sal“, schreibt Werth. Ein Satz, der an aske­ti­sche Stra­te­gien bei Künst­le­rin­nen wie Ana Men­die­tao­der Agnes Mar­tin erin­nert. Doch wo Men­die­ta das Ritu­al in den Boden ein­ritz­te oder Mar­tin Lini­en zur Medi­ta­ti­on mach­te, ist Wert­hs Spra­che lau­ter, kör­per­nä­her, brü­chi­ger. Ihre Wer­ke ent­ste­hen aus einem Zustand, in dem Dis­zi­plin zur Über­for­de­rung wird und genau dar­in Aus­druck fin­det. In einem Tage­buch­ein­trag vom 3. Dezem­ber 2024 beschreibt sie die Entstehungsumstände:

„Es geht nicht um Fett, nicht um Mus­kel­mas­se – es geht um Was­ser. Ich lau­fe, in meh­re­ren Schich­ten, mit Schwitz­an­zug, wäh­rend die Son­ne brennt. […] Der Hun­ger ist längst weg. Was bleibt, ist die­ser Durst – und die Erin­ne­rung dar­an, war­um ich das mache.“

Die­ses Lau­fen – bei­spiels­wei­se wäh­rend eines Weight Cuts in Thai­land vor einem Box­kampf – ist Vor­be­rei­tung und künst­le­ri­scher Zustand zugleich. Aus die­ser Erfah­rung ent­ste­hen Bild­räu­me, die zwi­schen Über­rei­zung und Struk­tur oszil­lie­ren. Ihre groß­for­ma­ti­gen Zeich­nun­gen wir­ken wie urba­ne Wim­mel­bil­der, die das pre­kä­re Gleich­ge­wicht des städ­ti­schen Lebens offen­ba­ren und ‚Wirk­lich­keit‘ zu einem visu­el­len Aus­nah­me­zu­stand ver­dich­ten. Mit Edding, Krei­de, Ölstift und Tusche erschafft Werth Stadt­land­schaf­ten aus Strom­lei­tun­gen, Bahn­glei­sen, umher­flie­gen­den Auto­bahn­kreu­zen, Fight­clubs und Mangrovenwäldern;bevölkert von Tier­we­sen, Dino­sau­ri­ern, urzeit­li­chen Fischen. In ihrer anar­chi­schen Bild­lo­gik oder Fül­le erin­nert sie an die fan­tas­ti­schen Sze­ne­rien von Hie­ro­ny­mus Bosch, an die sym­bol­ge­la­de­ne Dich­te Phil­ip Gus­tons oder die chao­ti­sche Urba­ni­tät von Franz Acker­mann; doch Wert­hs Zeich­nun­gen fol­gen kei­ner kar­to­gra­fi­schen Struk­tur, son­dern einem inne­ren, erzäh­le­ri­schen Strom.

„Mei­ne Arbei­ten erzäh­len von die­sem Aus­nah­me­zu­stand – vom Kon­troll­ver­lust und vom Wil­len, trotz­dem wei­ter­zu­ma­chen. Sie sind wim­melnd, über­la­den, vol­ler Erschöp­fung und Sehnsucht.“

„Raus aus der Ecke“ ver­weist auf Wert­hs eige­ne Box­pra­xis. Die Rin­ge­cke: Ort der kur­zen Erho­lung, aber auch der Begren­zung. Die Künst­le­rin beschreibt sie als Sym­bol für das krea­ti­ve Arbei­ten unter Druck – das War­ten, das Funk­tio­nie­ren, das Sich-Bereit-Hal­ten. Doch das eigent­li­che Ziel ist der Ausbruch:

„Raus aus der Ecke heißt für mich: Raus aus der Begren­zung. Aus dem Funk­tio­nie­ren. Aus der Wie­der­ho­lung. Der Kom­fort­zo­ne. Und rein in etwas, das nicht sicher ist – aber echt.“

Die­se Bewe­gung wird sicht­bar in Wert­hs Lini­en­füh­rung, in der Bild­kom­po­si­ti­on, im Cha­os. Ihre Arbei­ten doku­men­tie­ren kei­nen linea­ren Pro­zess, son­dern den Ver­such, ein inne­res Durch­ein­an­der zu erfas­sen und sicht­bar zu machen, ohne es zu glät­ten. Es ist eine Kunst, die nicht erklärt, son­dern durch­hält. Eine visu­el­le Pra­xis, die zwi­schen den Polen von Selbst­kon­trol­le und Auf­lö­sung pen­delt. Kei­ne Erzäh­lung des Tri­umphs, son­dern ein sicht­bar gemach­ter Zustand inne­rer Arbeit.

„Der Schmerz ist manch­mal grö­ßer als die Erin­ne­rung an den Grund. Und dann lau­fe ich trotz­dem wei­ter“, schreibt Werth.

Ihre Zeich­nun­gen fan­gen die­sen Zustand ein: nicht als Hel­din­nen­er­zäh­lung, son­dern als wider­sprüch­li­chen, erschöpf­ten, zutiefst mensch­li­chen Ver­such, nicht ste­hen zu bleiben.

– Aileen Treusch, Juni 2025