03.10. bis 31.10.
Aufsichtszeiten: jeden Mittwoch 17-19 Uhr
»Und Sie haben keinen Teil am Jenseits?«… »Ich bin«, antwortete der [tote] Jäger, »immer auf der großen Treppe, die hinaufführt. Auf dieser unendlich weiten Freitreppe treibe ich mich herum, bald oben, bald unten, bald rechts, bald links, immer in Bewegung. Nehme ich aber den größten Aufschwung und leuchtet mir schon oben das Tor, erwache ich auf meinem alten, in irgendeinem irdischen Gewässer öde steckenden Kahn. (F. Kafka, Der Jäger Gracchus; Fragment, postum veröffentlicht)
Maximiliane Leni Armanns Figuren, die sich schattenhaft auf die Netzhaut des Betrachters legen, sind Wiedergänger, auf der Suche nach einem festen Ort und zurückkehrend aus einer unbestimmten Vergangenheit, die in der Zukunft zu liegen scheint. Wiedergänger aber, Gespenster also, bedürfen einer Repräsentation, um mit uns zu kommunizieren. Bei Armann sind es fotografische Abzüge auf Backlitfolie, in der sie uns erscheinen in einer unbestimmten und flüchtigen Präsenz, die sie gleichwohl nie besessen haben. Im Gegensatz zu den literarischen Wiedergängern, die stets auf ein Versäumnis, ein unerfülltes Begehren verweisen, sind es in der Serie „sitting on {..}“ 3‑D-Charaktere aus dem virtuellen Raum. Diese werden von der Künstlerin in eine sitzende Pose gebracht, in lichtempfindliches Fotopapier, das über den Laptop-Bildschirm geklebt wird, eingebrannt und in lebensgroßen Abzügen präsentiert. Ihre Aura ist so flüchtig und zugleich so gegenwärtig, dass sie für einen Moment eine Geschichte und eine Beglaubigung zu enthalten scheinen dafür, dass das, was man sieht, tatsächlich dagewesen ist. Diese „Aura des Leibhaftigen“, diese für Roland Barthes noch alchimistische Verbindung zwischen Gegenstand und Bild, verflüchtigt sich bei Maximiliane Leni Armann aber zusehends. Es geht hier nicht um eine authentische Spur, einen Kontaktabzug der Wirklichkeit. Die in den fotografischen Abzügen sich abzeichnenden Erscheinungen sind viel eher Reflexionsfiguren eines uns ergänzenden Anderen in einer (re)-konstruierten Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit spielt sich in unterschiedlichen Räumen zugleich ab, welche sich mehr und mehr gegenseitig beeinflussen, bedingen und ineinanderschieben. An den Schwellen dieser Sphären von Digitalität, Virtualität und (konstruierter) Realität aber gibt es Passagen des Übergangs, Liminal Spaces. Solche hat die Künstlerin per AI erstellen lassen und führt uns in der Serie „traces“ (Bildschirm-Belichtungen auf Fotopapier) an diese Schwellen, die sich zwischen einem Noch-Nicht und einem Nicht-Mehr dehnen. Es sind Räume, die nie existiert haben, die uns fremd und doch so heimlich vertraut erscheinen, dass sich für den Betrachter an dieser Schwelle ein verstörender, unheimlicher Zwischenraum, ein gespenstisches „uncanny valley“ auftut. Stets aber schiebt sich vor alles Gespenstische, was auch immer es repräsentieren und welche kulturellen Formen es auch annehmen mag, eine (unhintergehbare) Medialität, ein Gefährt, ein Medium. Maximiliane Leni Armann findet dafür ein luzides Zeichen: „Zero and One“, zwei Leuchtkästen mit Abbildungen von Vorderseiten zweierlei Monitor-Mattscheiben repräsentieren diese medialen Welten, formulieren ihre Abbildhaftigkeit, befragen ihre Funktion als Empfangsraum, Pforte und Projektionsfläche und kommunizieren diese stets neu zu stellenden Fragen in die Zukunft zurück.
Text: Franz Schneider